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Wenn man es nicht genau weiß, sollte man es lassen!

Gespräch mit dem Kinderarzt Dr. Ulrich Fegeler

 

Herr Fegeler, Sie haben am 7. Oktober in der Kirche Zehlendorf vor rund 100 Menschen einen Vortrag gehalten. Sein Thema „Humanbelastungen durch Bioaerosole aus den geplanten Legehennen-Anlagen in Zehlendorf und Wensickendorf“. Lassen Sie uns versuchen, für alle, die nicht dabei sein konnten, die wichtigsten Ergebnisse aus Ihrem Vortrag zusammenzufassen.

Ulrich Fegeler (UF): Gern.

1. Zunächst einmal: Was interessiert Sie selber an dem Thema?

UF: Das ist ganz einfach. Ich lebe mit meiner Familie selber in Schmachtenhagen, also nur wenig entfernt von dem geplanten Standort der Anlage in Zehlendorf. Als Kinderarzt bin ich selber kein Experte, weder Umweltmediziner noch Mikrobiologe. Aber ich bin persönlich betroffen und kann wissenschaftliche Erkenntnisse einordnen. Deshalb habe ich mich mit diesem sehr komplexen Thema intensiv beschäftigt.

2. Was ist Ihnen dabei aufgefallen?

UF: Vor allem die Tatsache, dass es erstaunlich wenig wissenschaftliche Arbeiten zu den epidemiologischen Auswirkungen in der Umgebung von Massentierhaltung gibt.  Ich stützte meinen Vortrag deshalb vor allem auf das Material eines Fachgespräches zu den Auswirkungen von Bioaerosolen aus Geflügelställen auf die Nachbarschaft und eine Studie über Gesundheitsgefährdungen durch Hähnchenmastanlagen der Intensivtierhaltung.

3. Sie sagten es schon, das Thema ist offenbar sehr umfangreich und gerade für Laien schwer zugänglich. Lassen Sie uns daher – ähnlich wie in Ihrem Vortrag – bei den Grundlagen anfangen. Was sind Bioaerosole eigentlich, von denen immer wieder die Rede ist?

UF: Bioaerosole sind laut DIN EN 13098 luftgetragene Teilchen biologischer Herkunft. Sie enthalten
zum Beispiel anorganischen und organischen Staub oder Mikroorganismen wie Pilze, Bakterien, Viren und Pollen. Zu den Bioaerosolen zählen auch die sogenannten Endotoxine, das sind Zerfallsprodukte von Bakterien, die bei Menschen verschiedene Wirkungen auslösen können. Und schließlich sind Antibiotikarückstände und verschiedene Gase Teil der Bioaerosole.

4. Wie wirken all diese Stoffe?

UF: Sie können auf den Menschen ganz verschieden wirken, z.B. Infektionen auslösen, allergische Reaktionen verursachen, Atemwegserkrankungen hervorrufen, zu Vergiftungen führen oder auf pharmakologische Weise wirken, also ähnlich wie ein Arzneimittel. Sie können in den Körper über die oberen und unteren Atemwege gelangen, über den Magen-Darm-Trakt oder auch über die Haut. Endotoxine z.B. können erhebliche Atemwegsprobleme bereiten, bekannt ist die chronisch-obstruktive Bronchitis (COPD), die Farmerlunge oder das sogenannte organic-dust-toxic-syndrome (ODTS). Das Problem dabei ist, dass wir bei hohen Konzentrationen wie z.B. im Stall sehr gut Erkrankungen zuordnen können und auch Vorstellungen davon haben, wie hoch Staub-, Keim- oder Endotoxinkonzentrationen sein dürfen, obwohl es keine klaren Grenzwerte gibt. Aber wir wissen sehr wenig über Anreicherungsprozesse und dadurch bedingte gesundheitliche Langzeitfolgen dieser Substanzen außerhalb des Stalles, da es hierzu kaum Forschung gibt. Diese Anreicherungen wird es aber mit großer Sicherheit geben, weil z.B. allein Endotoxine, wenn sie über die Stallentlüftung in die Umgebung gelangen, aber auch über den Dungeintrag der Tiere auf den Acker ausgebracht werden, sich über Jahre halten und dabei immer weiter verdriftet werden können. Wir bauen also wichtige Entscheidungen über die Errichtung solcher Anlagen wie jetzt die Massenhaltung von Legehennen in Schmachtenhagen auf Abschätzungen und Annahmen von Emissionen und Immissionen auf, die unter der Annahme bestimmter Bedingungen (Lage, Abluftmengen, Windrichtung, Bebauungsnähe) hochgerechnet werden. Das sind alles aber unsichere Voraussetzungen, die Anreicherungs- und Verdriftungsprozesse nicht mit einbeziehen. Als Kinder- und Jugendarzt, der sehr viel mit Präventionsmedizin zu tun hat, kann ich nur raten, etwas sein zu lassen, solange ich nicht sicher sein kann, welche Folgen meine Entscheidung hat.

5. Könnte es sein, dass solche Hochrechnungen einfach nicht korrekt sind?

UF: Das glaube ich nicht. Die Berechnungen sind sicher korrekt. Aber in die darauf basierenden Schlussfolgerungen, also Genehmigung oder Nicht-Gebehmigung, gehen immer nur die gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisse ein. Die können aber in 10 Jahren ganz anders sein und dann wäre möglicherweise eine solche Anlage im Nahfeld von Wohnbebauung niemals genehmigt worden. Heute gehört zu einer verantwortungsvollen politischen Entscheidung und Genehmigung solcher Anlagen eben auch die Berücksichtigung des Unsicherheitsfaktors eines noch nicht erforschten, komplexen, über lange Zeit erfolgenden Anreicherungs- und Wirkgefüges von Bioaerosolen auf den Menschen. Ein Landesumweltamt kann doch eigentlich nicht entscheiden, wenn es Gefahren letztlich mit auch noch so komplizierter Mathematik nur schätzen kann! Solange Gefahren nicht exakt zu bestimmen sind, können sie nicht exakt bewertet werden. Von solchen Entscheidungen sollte man meiner Meinung nach die Finger lassen.

6. Sie beziehen sich hier auf die Wirkung der Bioaerosole in der Außenluft. Wie sehen denn die Belastungen in den Ställen selber aus?

UF: Die mir vorliegenden Studien zeigen, dass die Bioaerosole die Stallluft verunreinigen. Sie bilden eine komplexe Mixtur aus Gasen, Staub, Bakterien und Endotoxinen. Sie können über die Atemluft, durch den Mund in den Magen-Darm-Trakt und über die Haut und offene Wunden aufgenommen werden. Damit sie Krankheitssymptome auslösen können, müssen die Keime eine bestimmte Konzentrationsschwelle überschreiten. Stallarbeiter haben es zum Beispiel mit verschiedenen Mikroorganismen wie Campylobacter oder Salmonellen zu tun, die Darmerkrankungen auslösen können. Besonders angereichert ist in der Stallluft aber Staphylokokkus aureus,  ein fakultativ pathogener Erreger, der nur unter bestimmten Umständen zu dann aber auch schwerwiegenden Erkrankungen führen kann. Bei diesem Erreger kommt noch ein besonderes Problem hinzu, nämlich die sogenannte Multiresistenz gegenüber verschiedenen Antibiotikaklassen. Man spricht von MRSA-Staphylokokken. Diese Erreger können nicht mehr mit herkömmlichen Antibiotika bekämpft werden und gehen mit einer hohen Letalität (Sterblichkeit) einher. Multiresistenz entwickelt sich leicht in der landwirtschaftlichen Massentierhaltung, insbesondere bei Hühnern, da hier zur Verhinderung von Epidemien zum Futter Antibiotika hinzugefügt werden. Diese Erreger sind für die Medizin ein Riesenproblem. Ähnlich problematisch sind die anderen Bestandteile der Bioaerosole. Interessant ist vielleicht noch der Hinweis, dass unter den verschiedenen Arten von Tierhaltung die Geflügelwirtschaft am stärksten durch Bioaerosole, insbesondere Keime und Endotoxine in der Stallluft, belastet ist. Und unter den Geflügelarten sind die Hühner diejenigen, welche die stärkste Belastung erzeugen.

7. Ihre Schlussfolgerung aus all dem?

UF: Ich würde in einem derartigen Stall nur mit Atemschutzvorrichtungen arbeiten.

8. Gehen wir nach draußen. Eines der Argumente der Investoren ist ja, dass der Hühnerkot „heiß begehrt“ sei. Was passiert, wenn der Kot auf die Felder kommt?

UF: Ich kann nur wiederholen, dass wir nicht genau wissen, wie und wohin Bioaerosole  verdriftet werden, ob und wie sie sich anreichern und ob und welche epidemiologischen Effekte sie auslösen. Es gibt eine gute Plausibilität dafür, dass alle bisher genannten Befürchtungen realistisch sind, aber wir haben bisher zu wenig wissenschaftlichen Nachweis bzw. zu wenig Forschung auf diesem Gebiet.

9. Dennoch, geht es zumindest etwas konkreter?

UF: Nehmen Sie die Staphylokokken, ein idealer Indikator, um zu bestimmen, wie sich Bioaerosole ausbreiten, weil sie auch außerhalb ihres gewohnten Lebensraums lange überleben können. In Studien hat man gezeigt, dass sich dieser Keim abhängig von der Windrichtung über mehr als einen halben Kilometer weiter rund um den Stall ausbreiten kann. Andere Studien beweisen, dass der Kot unter den typischen Bioaerosolquellen nachweislich eine der stärksten ist. Die Endotoxine bleiben im Kot, auch im getrockneten Kot, über lange Zeit, über Jahre, wirksam. Bei den Windverhältnisse in unserer Gegend ist es wahrscheinlich, dass die Bioaerosole weit verbreitet werden. Und nicht zuletzt sind auch die Transportfahrzeuge, mit denen der Kot abgefahren werden soll, hochgradige Bioaerosolschleudern.

10. Kommen wir zu den Auswirkungen auf den Menschen. Was haben Sie dazu bei Ihrer Beschäftigung mit dem Thema gefunden?

UF: Hier muss ich wieder auf das eingangs Gesagte verweisen. Es gibt nur sehr wenige Studien, die untersuchen, ob es einen Zusammenhang zwischen Bioaerosolen aus Tierställen und allergischen oder atemwegsbezogenen  Symptomen bei Menschen in der Nachbarschaft gibt. Ich habe zwei gefunden: AABEL steht für Atemwegserkrankungen und Allergien bei Einschulungskindern in einer ländlichen Region (Hoopmann et al., 2004) und NiLS für Niedersächsische Lungenstudie – Atemwegsgesundheit und Allergiestatus bei jungen Erwachsenen in ländlichen Regionen Niedersachsens (Radon et al., 2004). AABEL zeigt, dass Kinder von allergiekranken Eltern, die sonst nicht auf dem Lande leben,  in der Umgebung von Ställen signifikant mehr an Asthma und Allergien erkranken. NiLS zeigt, dass es bedenkliche Zusammenhänge zwischen den Endotoxinen aus der Tierhaltung und der Lungenfunktion gibt. Schon bei niedrigen Endotoxinkonzentrationen verschlechtern sich die Lungenfunktionsparameter deutlich. Diese Effekte treten nicht auf bei Menschen, die auf dem Lande leben. Dies sind weltweit die einzigen Studien zur Epidemiologie von Bioaerosolen.

11. Wäre dem nicht abzuhelfen, wenn man in die Ställe entsprechende Filteranlagen einbaut?

UF: Das ist durchaus denkbar, in der Realität allerdings wenig wahrscheinlich. Zum einen gibt es nur sehr wenige Anlagen, die für diese Aufgabe wirklich geeignet sind. Im Jahre 2013 waren es im Bundesgebiet genau 2 Anlagen in Hähnchenmastbetrieben, die den Anforderungen der Deutschen Landwirtschafts Gesellschaft entsprachen. Und das bezieht sich im wesentlichen nur auf die Abscheidung von Ammoniak und Staub. Den Geruch kann heute  keine Anlage vollständig herausfiltern, dass er nicht mehr wahrnehmbar wäre. Zum anderen ist es auch eine Kostenfrage. Denn diese Anlagen sind sehr teuer. Und nicht zuletzt wissen wir auch nicht, wie laut die Betriebsgeräusche auf die Anwohner wirken.

12. Dr. Fegeler, was ist Ihr Fazit aus alldem?

UF: Ich wollte vor allem deutlich machen, dass wir über die medizinischen Umweltbelastungen und Gefahren der Bioaerosole aus der geplanten Anlage kaum verlässliche Informationen haben. Wir wissen nur eines gewiss: Dass es ein großes Potenzial an Gesundheitsgefahren gibt. Das sollten alle ernst nehmen, die Verantwortung tragen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Präsentation des Vortrages

 
 
 
 

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